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Ikarus hatte sich zu sehr von der Erde abgehoben, war dem Feuer der Sonne nicht gewachsen. Ein Absturz ins Meer beendete seine Karriere als Himmelsstürmer abrupt. Topografisch gesehen hat auch meine Arbeit einen entsprechenden Höhenverlust erlitten.

In der trockenen Hitze des israelischen Sommers, für 3 Wochen in einem galiläischen Kibbuz and den Ufern des Jordan verweilend, vollzieht sich - ohne vorgefasste Zielsetzung - in meiner Malerei der Wechsel vom Darüberschweben zum Eintauchen. Aber anders als in der Geschichte Ikarus' fällt meine malerische Tätigkeit nicht dem Ertrinkungstod zum Opfer. Denn so, wie ich in dünnster Höhenluft die Erde ohne Atembeschwerden zu umkreisen lernte, bin ich nun gewillt, mir für die Abgründe des Meeres Kiemen wachsen zu lassen.

Und finde mich in guter Gesellschaft wieder. Vorbei am Mythos des Fischmenschen, vorbei an der wundersamen Leichtigkeit der Wassernixen, kristallisiert sich mehr und mehr die Nähe zur östlichen Philosophie heraus. Das prozesshafte Eintauchen in das eigene innere Universum, das Erfahren der ständigen Bewegung und Veränderung ermöglicht einen Fortbestand ohne zunehmend verseuchte Atemluft.

Gleichzeitig beginne ich in der Depression des Jordantales die mich im Malprozess so freundschaftlich begleitende Melancholie auf ihre Ernsthaftigkeit abzuklopfen. Erlesenes des "Neuen Denkens", das einen tiefgreifenden Wandel unserer Weltanschauung einleitet, fliesst - wiederum im Zustand des weggelegten Bewusstseins - in die Arbeit ein und führt mich in die Anfänge eines ganzheitlichen Denkens und Suchens, das Theodore Roszak mit dem Ausdruck "Grenzbereich der Aquarier" flüssig benennt. Und trotz allem scheint es mir schon Leistung genug zu sein, im Aquarium meine Melancholie nicht als "Fehldiagnose Depression" hinwegspülen zu lassen.

Kosmologen und Physiker ziehen auf Grund ihrer neuen Erkenntnisse das Hologramm (dessen Hauptcharakteristikum ich darin sehe, dass in jedem Teilbereich die Information über das Gesamtmuster gespeichert wird), als Metapher für den Kosmos aus dem Ärmel. Analog zu dieser Verbildlichung machen meine Arbeiten Sinn für den, der in der Lage ist, anstelle des physikalischen Laserlichblickes "sich von allem zupackenden und vergewaltigenden Begreifen zu dispensieren und den unverwandten Blick einzuüben" (U.Horstmann).

Bei den im ersten Anblick flach erscheinenden Interferenzmustern - spontan gesehen scheinen es lediglich illusionistisch gemalte Unterwasserdarstellungen zu sein - wird so manchem Betrachter schon sehr bald die Luft wegbleiben. Das untrügliche Bewusstwerden, es könnte sich hier um das eigene Innenleben handeln, welches um Auseinandersetzung bittet, lässt möglicherweise hastig zum Schnorchel greifen. Im Sinne der Analogie zum Hologramm wird nun in entscheidender Weise das Tiefenlicht, das den Informationsträger im Bild darstellt, reaktiviert und beginnt somit, diese Welt in all ihrem Glanz leuchten und wirken zu lassen.

"Sinnlich und zutiefst verführerisch erscheint sie in ihrer topografischen Vielfalt, den mal melancholisch - verdüsterten, mal frühlingshaft - lichten Stimmungen, sinnlich und in der ostentativen Abwesenheit der hektischen, alles manisch verweilenden Bescheidwisser zugleich so berstend sinnvoll und wahr, dass das , was da in unseren Gesichtskreis tritt, gleichwohl über unseren Horizont geht", meint Ulrich Horstmann zu dieser lesbar - oder besser erspürbar - dargestellten Welt und ist überzeugt, hier ein "malersiches Äquvalent von Sirenenklängen" vor sich zu haben.

Mag sein, dass manch einem Betrachter die Gesänge der Buckelwale den Weg durch jene Bildtiefen weisen, die kein Sonnenstrahl mehr zu erhellen vermag, jene Bereiche, die nur aus eigenem Hellsein wahrzunehmen sind, sich aber beständig dem beschaulichen Blick entziehen - holografisch gesehen können einem ebenso die subtilen Musikstücke von Terje Rypdal, die anthropofugalen Schriften von Ulrich Horstmann, das Saxofon des Jan Garbarek oder die immer wieder faszinierenden Nympheas von Claude Monet diesen Dienst erweisen.
 
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