kommentare/autoren/roland geiger 'bilder, die den menschen orten'



D
a ist eine Ebene, kreidig, matt, wie auf ein Fließblatt gemalt, halb weggetaucht scheinend ... in sich selbst zurückgezogen agierend. Die Landschaften von Wolfgang Sinwel kommen dem Betrachter zurückgehalten entgegen. Der Maler stellt uns in stille Welten, in Panoramen, die sich selbst genügen.

Aber es ist auch die Poesie des Gebrauchten, was uns, vor diesen Bildern stehend, anrührt, an die Hand nimmt, deren Puls man fühlt. Der Reiz des Sichnähernwollens, das Mysterium eines Wechselspiels des Verständlichen mit dem verschlüsselt Mehrdeutigen, dem Zwischen - das objektiv Wirkliche ist nur zu erfühlen.

Man spürt die Überraschung, die der Künstler, vor dem eben vollendeten Werk stehend, als Erster empfindet... das noch nicht manifeste Ausloten dieser inszenierten Bildelemente und ihrem Wirken nach aussen, denn, orten diese Bilder in feinem Wechsel nicht auch den Menschen? Und zwar - merkwürdig - genau da, wo er in uns allen ist? Malt Wolfgang Sinwel nicht seinen inneren Spiegel nach? Wieso bin ich ohne jede Begründung davon überzeugt, dass in diesen Landschaften einKlima herrscht, das dem Menschen entspricht? Woher weiß der Betrachter, dass das, was sich da vor ihm über die mittelformatige Leinwand breitet, die Erde ist?

Sinwels Malerei kommt mit einer Farbskala aus, die uns im Gefieder der Stadttauben begegnet. Keine Farbe ist gegenüber einer anderen scharf abgegrenzt.

In der Luft stehengeblieben, scheint der Künstler topografische Punkte zu reflektieren ... auf uns wirkt seine Trasse, das Feld und die Schneise wie eine erinnernde Strähne, das Gefühl von Rückkehr auslösend und von Geborgenheit. Diese Bilder erreichen den Betrachter sofort.

Verwischungen übernehmen wie Akzente eines generösen Gottes Funktion, immer genau dort, wo sie sein müssen, ein Ereignis der Komposition sind. Helle Pasagen scheinen wie aus dem Grund herausgeschliffen, dunkle Stellen gleichen emotionalen Verwerfungen ... Sinwel zeigt, dass auch ein erdiges Braun von innen heraus glühen kann ... Details, die unmittelbar nach einem Regen erlebt sein könnten ... diese Routenverläufe senden verhaltene Signale ins Unterbewusstsein.

Sinwels Sicht hat die Temperatur absoluter Objektivität. Und doch könnte auch jede seiner Landschaften von einer eigens für sie erfundenen Sonne bestrahlt werden. Licht, das Farbcharaktere entblösst, und so diese Landschaftsindividuen gänzlich eigener Art unverwechselbar in uns hineinträgt.

Die Bilder scheinen aus unterschiedlichen Höhen und variierenden Anflugswinkeln gesehen - und aufgenommen. Sie haben etwas Dokumentierendes in einem eigenen Sinn. Sie haben auch etwas von einer Maschine, die nicht funktionieren muss.

In Sinwels Arbeit scheint mir selbst der Zufall Absicht zu sein.

Sind diese Bilder Resultate empfundener Erinnerung an eine Zeit, als wir alle noch fliegen konnten ...?

Die Sicht ist immer unmittelbar.

Da sind auch die verschiedenen Qualitäten von Stabilität ... Der leichte Schwindel, der bei der Betrachtung von Sinwels Bildern eintreten kann, stabilisiert den Eindruck der Höhe; das Gefühl schwebend-bewegten Erreichens optischen Gleichgewichts ohne Flügel direkt zu sehen und letztlich das gültige Stranden von Schichten zu Farben, die nahe Ferne, all dies macht mich fest.

Ungefähr vertraut ist nach genauer Überlegung der richtige Begriff. Manches kommt dem Betrachter bekannter vor als anderes. Etwas jedoch ist allen Bildern Sinwels gemeinsam: Man betrachtet sie hellwach. Man lässt sich anstossen und auf den Weg bringen.

Bei den Arbeiten von Wolfgang Sinwel muss es sich um eine Mischung aus objektiver und subjektiver (in dieser Reihenfolge!) Empfindung handeln. Mir erscheinen diese Bilder als ein topografisches Ergebnis dieses Zusammenklangs, als das Resultat einer bis an die Grenzen der Kontrollmöglichkeit getriebenen Sensibilität - die Polarität von Wissen und Ahnen tritt überall auf. Diese Arbeiten justieren eine Aufmerksamkeit des Zwerchfells, das mit seinen feinen Spitzen auf ästhetische Reize reagiert - ein nie literarischer Dialog ist eröffnet.

Sinwel, man muss den Namen nur richtig aussprechen, um das leise und doch unüberhörbare Sirren von Vogelschwingen zu hören ...

Sinwel, das könnte auch die Bezeichnung einer Vogelart sein.

 
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