kommentare/autoren/dr.brigitte hilzensauer 'jenseitslandschaften'



A
ls ich seine Landschaftsbilder zu erstenmal sah, hatte ich eben eines meiner Lieblingsbücher, Peter Rosei's "Entwurf für eine Welt ohne Menschen", wieder gelesen. In dieser frühen Erzählung des Dichters geschieht nichts, als dass ein Wanderer durch eine monotone Landschaft geht, vorbei an fremdartigen Pflanzen und Tieren, um endlich auf der Spitze eines Berges anzulangen, einem Ziel, das keines ist, weil er von dort wieder nur in leere Weiten blickt.

Ich erinnere mich, gedacht zu haben, wie gut das Buch erst hätte sein können, wenn kein Wanderer, kein Beschreiber mehr nötig und die Welt ohne Menschen damit vollkommen gewesen wäre. Aber das hätte auch das Ende der Erzählung bedeutet. Und dann sah ich die Bilder. Sinwel bezeichnete sie als "Flugbilder", was mich insgeheim störte, weil es wieder den Betrachter einschloss; ich aber hatte endlich jene vollkommene Einsamkeit vor mir, die ich gesucht und in Rosei's Erzählung nicht gefunden hatte.

Ein Flugreise nach Südafrika hat Wolfgang Sinwel zu seinen Landschaften inspiriert, der Blick auf eine Welt, die durch die - nicht nur räumlich verstandene - Entfernung ent- und verfremdet, wenn nicht entrückt worden war. Wenn Sinwel schon seine damaligen Bilder als "zeitgemäße Art, Landschaften zu malen" verstanden hat, war ihm wohl noch nicht bewusst, wie recht er hatte, nicht im technischen, aber im metaphysischen Sinn.

Je mehr er sich mit - nun immer abstrakter gesehenen - Geografien auseinandersetzte, umso weniger malte er "Strukturen der Landschaft" (so der Titel einer seiner Ausstellungen), umso mehr malte er Zustände. Die Bilder, die ich zu Gesicht bekam, hatten sich bereits auf grüne, braune, olivfarbene Flächen reduziert, feinste Strukturen, die durch seine Technik des Übereinanderlegens mehrerer Farbschichten und anschließenden Abschleifens entstanden waren; von zarten, scheinbar wirr durcheinander laufenden linien gekreuzt, wie die geheimnisvollen, nur vom Flugzeug aus zu erkennenden Spuren im südamerikanischen Urwald, von denen man nicht weiß, was sie bedeuten: ein Zeichen an die Götter oder einfach einen riesigen Nonsens. Dann Andeutungen von Hügeln, Flüssen, Tälern, Bauwerken, feine graue Wolkenschatten: Bilder einer Innenlandshaft, der Seelenzustände eines Menschen ohne Beziehung zu anderen Menschen, auf das eigene Selbst konzentriert (wie sich denn die Egozentrik in der Natur so gerne spiegelt). Wo die Konturen zu deutlich wurden, die Anlehnung an die reale oder Hinweis auf die Seelengeografie zu konkret, hatte er verwischt, weggeschliffen (mit dieser zugleich subtilen wie aggressiven Technik, die er sich gewählt hat) die magische Monotonie wiederherstellend, die mich beim ersten Blick auf seine Bilder fast hypnotisch berührt hatte, bis mir eben das Buch Rosei's wieder einfiel. - Es war die Faszination des Un-, Über-, Außer-, Nachmenschlichen, des Gefühllosen, einer Welt aus dem Mesozoikum oder lang nach der Atombombe, in der Menschen und Menschliches überhaupt noch oder schon wieder undenkbar sind.

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Vielleicht wird er eines Tages ganz anders malen. Eines ist sicher: Er wird es sich nie leicht machen.
 
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