kommentare/autoren/dr.brigitte hilzensauer 'jenseitslandschaften'



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in verfängliches, ein zwielichtiges, ein düsteres Thema? Wir werden sehen. Immerhin, das Schlimmste bleibt Ihnen heute abend erspart, ein knochentrockener akademischer Vortrag nämlich. Was erwartet Sie stattdessen? Ein hoffentlich buntes Sammelsurium von Beobachtungen, Thesen, Halbwahrheiten und Halbgarheiten sowie Einblicke in die Hirn- und Bildwelten dreier Maler, die viel miteinander, viel mit mir und der Art von Literatur, die ich vertrete, zu tun haben.
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Ich bin Sinwel erst vor ein paar Monaten begegnet und möchte auf unserem Spaziergang deshalb zunächst Interpreten zu Wort kommen lassen, die ihn besser kennen.

Für seinen Galeristen ist Sinwel "der Szenarist von elfenbeinschimmernden, menschenleeren, up-up-and-away-Landschaften", aber das klingt doch ein bisschen sehr nach Maximilianstraße und VIP-Lounge. Eine Reaktion wie die Brigitte Hilzensauers ist da schon aufschlußreicher, gerade weil ihr die rhetorische Oberflächenveredelung nicht wichtiger ist als der Untergrund. "Als ich seine Landschaftsbilder zum ersten Mal sah, hatte ich eben eines meiner Lieblingsbücher, Peter Rosei's 'Entwurf für eine Welt ohne Menschen', wieder gelesen. In dieser frühen Erzählung des Dichters geschieht nichts, als daß ein Wanderer durch eine monotone Landschaft geht, vorbei an fremdartigen Pflanzen und Tieren, um endlich auf der Spitze eines Berges anzulangen, einem Ziel, das keines ist, weil er von dort wieder nur in leere Weiten blickt. Ich erinnere mich, gedacht zu haben, wie gut das Buch erst hätte sein können, wenn kein Wanderer, kein Beschreiber mehr nötig und die Welt ohne Menschen damit vollkommen gewesen wäre. ... Und dann sah ich die Bilder. ... Ich hatte endlich jene vollkommene Einsamkeit vor mir, die ich gesucht und in Roseis Erzählung nicht gefunden hatte."

Einsamkeit, Gelassenheit, die entrückte, die lichte Monotonie Gregorianischer Choräle, eine aggressionslose metaphysische Schwere und die Schwerelosigkeit des Könners, der im Vordergrund schamlos vorführt, wie er es macht, und den Betrachter gleichwohl im nächsten Augenblick einsaugt in die sich auftuende Unendlichkeit seiner Pinselstriche - das alles steckt in den palimpsesthaften Empfindungslandschaften Sinwels. Aber das Abheben, das sie ermögliche, das Entrinnen und Davonkommen meint gerade nicht die urlaubseuphorische Alltagsflucht des up-up-and-away, sondern ein distanziertes, nachdenkliches In-der-Schwebe-Sein. Sehr schön beschreibt Susanne Lambrecht dieses Übersteigen und Durchbrechen des bloß jet-set-haften Überfliegens: "Es gibt wohl keine für unser Zeitalter typischere Ansicht der Erde als den Blick aus dem Flugzeug. Gewinnt das Flugzeug an Höhe, geht die Realität einzelner Häuser und Straßenzüge optisch verloren. Schon nach wenigen Minuten weicht die Übersicht der nächsten Umgebung einem Fernblick, der die Landschaft nur noch in groben Zügen erscheinen läßt. Diesen Moment, wenn sich die Landschaft im Vorder- und Mittelgrund weit dahinzieht, breitet Sinwel vor dem Betrachter aus. Losgelöst von der Erde - fast himmelhoch - empfindet man sich plötzlich ganz für sich in unbestimmter Höhe, hat Raum, dem eigenen Handeln und Leben auf der zurückgelassenen Erde nach-zudenken.

Der Erde und uns Erdenwürmern nach-denken, und zwar im doppelten Wortsinn der Reflexion und des vorweggenommenen Erinnerns und Nachrufens, das tun alle drei hier vorgestellten Maler, deren Welten vor- und nachzeitig, archaisch und wahrhaft futuristisch zugleich sind und deshalb den Trendsettern immer unzeitgemäß vorkommen werden.

Wie Egbert von der Mehr, wie Anna Recker weiß Sinwel haargenau, was er tut, wenn er darum kämpft, seine "Bewußtlosigkeit während des Malvorgangs aufrechtzuerhalten". Das Ausbrechen aus ideologisch reglementierten Weltperspektiven, aus unserer anthropozentrischen Selbstverliebtheit, aus einem Bemächtigungsdenken, das sich spätestens seit der Renaissance der rigorosesten Selbstzensur unterworfen hat, ist vielleicht einzig noch über das Unterbewußte, die Körpermotorik, eine vor- und überbegriffliche Bildersprache möglich. Und in dieser Sprache protestieren die drei Künstler gegen das, was ich die humanistische Bevormundung genannt habe, gegen den Dünkel, der Mensch sei der Dreh- und Angelpunkt dieses Planeten, Krone der Schöpfung, einfach unverzichtbar.
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Unser Kopf führt ein seltsames Eigenleben. Er kann denken, er kann sich beim Denken zuschauen und Erkenntnistheorie treiben, er kann sich aber auch gedankenvoll selbst stillstellen, sich von allem zupackenden und vergewaltigenden Be-greifen dispensieren und den unverwandten Blick einüben. Mit diesem Blick sieht sich Sinwel um. Er durchbohrt, er fixiert, er taxiert nicht mehr; er schweift, er wandert, er spaziert, so wie wir spazieren wollten. Und dieser von allem Berechnenden freie, ungebundene Blick ruht manchmal auch auf einer Hand, die selbst unberechenbar und auf erstaunliche Weise geistreich geworden ist. Einer Hand, die in ihrer Selbständigkeit kaum mehr als die eigene erlebt wird, weil nichts sie mehr zum Instrument, Sklaven und Erfüllungsgehilfen einer übergeordnete Instanz erniedrigt. Nur deshalb wird sie beseelt, nur aus diesem Grunde hinterläßt sie keine Schneise der Verwüstung mehr, sondern die kunstvollen Spuren ihres Eigenlebens.

Unser Kopf ist ein unerhörter Apparat, eine Weltzertrümmerungs-maschine und zugleich ein Selbstüberholungsorgan und Welterneuerungssimulator. Eine der wundersamsten Denkfiguren entsteht dann, wenn sich der Intellekt selbst wegdenkt und aus der Welt verschwinden läßt. Der Affekt, der diese nur für Fortgeschrittene zu empfehlende Übung begleitet, ist ein melancholische Wohlgefallen an jener Menschenleere, in der die Dinge nicht mehr außer sich, sondern wieder zu sich selbst gekommen sind. Die tröstliche Abwesenheit des Untiers, der Dornenkrone der Schöpfung, liegt über fast allen Arbeiten Egbert von der Mehrs, Anna Reckers und Wolfgang Sinwels, und zwar selbst da, wo noch Menschen dargestellt werden. Der Eskapismus dieser Maler zeugt von der Gnade des Entronnenseins.

 
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