kommentare/autoren/maxime zerkout 'wolfgang sinwel & thomas bernhard'



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ie Frage, die sich bei der Auseinandersetzung mit unserer gegenwärtigen Welt stellt, ist, und das darf man nicht verhehlen, die nach ihrer Zukunft! Jeder, der sich mit diesem Thema auseinandersetzt, bringt dabei lediglich seine Verlegenheit zum Ausdruck und verstrickt sich gerne noch in Platitüden. Selbst bis hinauf in die höchsten geistigen Sphären gehört es zum guten Ton, vorzugeben, nicht wagen zu dürfen, darüber zu wissen, vorzugeben, daß es unmöglich sei, mittels irgendeiner Vorgangsweise folgern zu können.

Aber in Wahrheit ist das Betrug. Es ist sehr wohl möglich, sich über dieses Sujet zu äußern. In Wahrheit sind die Empfindungen jedes Einzelnen, die authentischen und tiefen Empfindungen, die alltäglichen Gefühle der weltlichen Existenz gegenüber in jedem von uns ausreichend.

Bis auf wenige Dinge wissen wir über das Leben Bescheid, das wir führen. Somit können wir nicht mehr im Mittelalter leben, unter Gesindel und unter physischer Auszehrung, und wir wissen sehr wohl, daß dies gut ist, aber wir wissen auch, daß heutzutage unser Leben steril ist und seine Leere schrecklich ist.

Die wesentlichsten Gefahren, die die Menschheit bedrohen, haben wir besiegt, aber gegenwärtig steckt die Zerstörung in uns selbst, in unserem Inneren, selbst die atomare Bedrohung ist gering im Vergleich zu dem, was in uns gegenwärtig ist, einem unglaublichen Krebsgeschwür, das unser Ungenügen bedeutet, ein Ungenügen, das in uns eine konstant schmerzliche Kraft erzeugt, welche uns an den Abgrund drängt und somit unser Drama darstellt.

Bei der derzeitigen Unruhe, bei den erschütternden Vertuschungen unserer Zeit gibt es nichts anderes mehr zu sehen. Leider gibt es heute nichts mehr zu entscheiden, keine Perspektive mehr, die uns erlaubt, unser Übel richtig abzuschätzen. Die Kirche faselt, die Wissenschaft ist eigentliche ein Maulwurf, der im Dunkel arbeitet, im Umfeld de Ratlosigkeit, die Politik ist eine Infektion, ein verbrecherisches Geschäft, eine Vereinigung von Übeltätern. Das zivile Leben ist entwertet, freigegeben, um versetzt zu werden, es gibt kein öffentliches Bewußtsein mehr, es ist zur Banalität geworden, darüber zu reden. Die Presse, die zur Zeit die Rolle des öffentlichen Bewußtseins einnimmt, ist nicht mehr als eine Tänzerin, die nach Belieben zur momentanen Musik tänzelt, zur Musik eines Instruments, das eher Lärm erzeugt. Die Vorstellung der Hölle läßt einen heute lachen, bei all diesen Ausbeutungen, an denen sie profitiert. Wir sind nicht auf dem Weg in den Abgrund, wir besiedeln ihn bereits. Wir sind auf Sommerfrische auf einem Gletscher, der im Begriff ist zu schmelzen, auf einem Abhang, wo schon der Sturm, die Lawine wütet. Unsere Zeitungen sind garden-parties mit dem Teufel, doch wir merken nichts davon.
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Man muß lachen. Wie Thomas Bernhard muß man lachen und tadeln, darf nicht aufhören, den Mißstand dieser Welt beim Namen zu nennen und aufzudecken, den Mißstand, der darin besteht, zu glauben und glauben zu lassen, daß diese Welt akzeptabel sei, daß dies möglich sei.

Doch bei Kritik wissen wir, wohin sie führt, ihr Ziel, zu dem sie führt, ist klar. Sie treibt entweder in den Wahnsinn, in die Isolation oder in die Gefangenschaft, wenn nicht gar in die direkte und einfache Zerstörung. In Wirklichkeit sollte Kritik als heilsame Übung, die allerdings nicht ohne Gefahr vom Einzelnen geübt werden kann, etwas anderes sein. Ohne sie kann die Menschheit, die halsstarrig ist und sich im Faulenzen empört, die Wahrheit nicht ertragen.

Schließlich muß man sich dazu entschließen, positiv eingestellt zu sein und Schönes auszudrücken, dieser Welt auch eine Weide der schönen Dinge zu bescheren, als Antwort auf ihre Häßlichkeit. An diesem Punkt wird die Kunst Wolfgang Sinwel's sichtbar, sie erscheint und bringt uns zu Bewußtsein, daß wir noch schlechter sind, da wir nicht einmal mehr glauben wollen, daß eine solche Kunst möglich sei. Dennoch gibt es sie, sie existiert. Die Bilder von Wolfgang Sinwel entstehen in Österreich, sie werden in Wien ausgeführt.

Angesichts dieser Bilder empfindet man einen unmittelbaren Schock, man muß sagen den Schock, eine Enthüllung über Dinge, die uns unmittelbar betreffen, sofort eine in uns verleugnete Empfindung berühren und in Erregung bringen, unerforscht und verdrängt, aus unserem Wissen ausgespart, auch von denen, all denen, die sich anmaßen, unser Bewußtsein zu formen. Dies, diesen Bereich ignorieren sie, noch mehr, sie verdrängen und verweigern ihn, es ist für sie ein unbequemer Bereich, als unanständig und sogar ehrlos angesehen.

Dies ist geradewegs die Seele! In diesen Bildern liegt die Seele! Es muß gesagt werden. Man muß es aussprechen, muß es wagen, diese Worte zu sagen: In den Bildern von Wolfgang Sinwel liegt die Seele.

Es ist so- eines Tages kommt ein Mensch und äußert sofort das, was niemand vor ihm geäußert hat, was niemand in dieser Art auszudrücken erreicht hat.

Nun ändern sich die Dinge, man empfindet sich nicht mehr als derselbe, und man fühlt sich nicht mehr allein. Man ist nicht länger im Stich gelassen, man darbt nicht länger in einer vollkommenen Verlassenheit, man ist nicht mehr allein, zerstört und im Rinnstein der Erde verkümmernd, einer Erde, die bis jetzt gleichzeitig schwachsinnig und mörderisch gewesen ist. Diese Welt ist plötzlich da, mit Hilfe der Bilder zur Größe erhoben, wiederhergestellt, auch ist sie gerettet. So ist es, so geschieht es.
 
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